Bürgerrat soll irische Drogenpolitik verbessern

15. April 2023
wallsdontlie / Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

In Irland hat am 15. April 2023 ein Bürgerrat zur Drogenpolitik des Landes seine Arbeit aufgenommen. Die 99 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden mit Hilfe von Fachleuten Empfehlungen für Regierung und Parlament entwickeln. Die Fragestellung ist, wie die schädlichen Auswirkungen illegaler Drogen auf einzelne Menschen, Familien, Gemeinschaften und die irische Gesellschaft deutlich verringert werden können.

Irland hat ein wachsendes Drogenproblem. Die Regierung hatte deshalb bereits 1996 versucht, das Problem in den Griff zu bekommen, als ein Ausschuss den ersten Bericht der ministeriellen Task Force über Maßnahmen zur Reduzierung der Drogennachfrage erstellt hatte.

Zahl der Drogentoten gestiegen

Es wurden lokale Drogen-Taskforces eingerichtet, die von einem Nationalen Drogenstrategie-Team überwacht wurden, um eine koordinierte Reaktion auf Drogenprobleme zu ermöglichen. Zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des so genannten Rabbitte-Berichts hatte die CityWide Drugs Crisis Campaign aufgezeigt, dass die Zahl der Drogentoten bis 2021 landesweit um 225 Prozent gestiegen ist.

Im selben Jahr hatte das Health Research Board (HRB) die Ergebnisse von Haushaltsbefragungen veröffentlicht, die es 2019 und 2020 durchgeführt hatte. Die Untersuchung zeigte, dass der illegale Drogenkonsum seit 2014/2015 gleich geblieben ist, dass es aber Veränderungen bei den Arten von Drogen gibt.

Kokain-Konsum seit 2002/2003 verdoppelt

Der Konsum von Kokain, Ecstasy, Amphetaminen, LSD und Poppers hat deutlich zugenommen, während der Cannabis-Konsum leicht rückläufig war. Der Kokain-Konsum hat sich seit 2002/2003 verdoppelt, wobei mehr Männer im Alter von 25 - 34 Jahren als je zuvor Kokain nutzen. Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, dass sie ein "sehr großes" oder "ziemlich großes" Problem mit Menschen in ihrem privaten Umfeld haben, die Drogen konsumieren oder damit handeln.

Der Bürgerrat befasst sich deshalb u.a. mit

  • Triebkräften, Verbreitung, Einstellungen und Trends in Bezug auf den Drogenkonsum in der irischen Gesellschaft
  • schädlichen Auswirkungen des Drogenkonsums auf Einzelpersonen, Familien, Gemeinschaften und die Gesellschaft im weiteren Sinne
  • bewährten Verfahren zur Förderung und Unterstützung der Rehabilitation und Genesung von der Drogenabhängigkeit
  • Lebenserfahrungen von Jugendlichen und Erwachsenen, die Drogen konsumieren, sowie mit den Erfahrungen ihrer Familien und ihres privaten Umfelds
  • der internationalen, EU-weiten, nationalen und lokalen Perspektiven zum Drogenkonsum
  • der Wirksamkeit der derzeitigen strategischen, politischen und operativen Maßnahmen gegen den Drogenkonsum
  • international bewährten Verfahren und praktische Fallstudien in Bezug auf die Verringerung von Angebot, Nachfrage und Schaden sowie die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit, der Gesundheit und des Wohlbefindens
  • Möglichkeiten und Herausforderungen einer Reform der Rechtsvorschriften, der Strategie, der Politik und der operativen Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenkonsums im irischen Kontext, unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Gesundheits-, Strafrechts- und Bildungssystem.

Vorsitzender des Bürgerrates ist Paul Reid. Er war zuvor Geschäftsführer des irischen Gesundheitsdienstes HSE und des Fingal County Council, einer lokalen Infrastrukturbehörde. Mit Blick auf die Debatte über die Legalisierung von Drogen sagte er zu Beginn des Bürgerrates, dass man sich ansehen werde, wie andere Länder in den letzten Jahren mit der Entkriminalisierung von Drogen umgegangen seien, darunter Portugal, Kanada und Teile der USA.

Kritik am Verfahren

Eine Gruppe von Einzelpersonen und Organisationen aus den Bereichen Drogenpolitik, Gesundheit und Hilfsdienste hat einen offenen Brief an Ministerpräsident Leo Varadkar verfasst, in dem sie ihre "große Besorgnis" darüber zum Ausdruck bringen, dass der Bürgerrat zum Drogenkonsum möglicherweise nicht die in ihrer Aufgabenstellung formulierte "wichtige Anforderung" erfüllt, "offen und transparent zu arbeiten".

In dem Schreiben kritisieren die Unterzeichner, dass die Bildung eines Beirates zum Bürgerrat "ohne die geringsten Bemühungen" um "Offenheit und Transparenz" erfolgt sei. So lauten Fragen im offenen Brief: Warum wurden die Informationsveranstaltungen so kurzfristig anberaumt, dass die meisten Interessengruppen und andere Beteiligte nicht daran teilnehmen konnten? Wer wurde zu den Informationsveranstaltungen eingeladen und was waren die Auswahlkriterien? Warum wurde der beratende Beirat im Geheimen ernannt, und nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl?

"Wir sind besorgt"

Crainn, eine Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger über vernünftige drogenpolitische Lösungen aufzuklären, die Sicherheit und Schadensbegrenzung fördern, erklärte: "Wir sind besorgt über den Ablauf des Bürgerrates.“

So habe am 28. März in Dublin ein Treffen für "Interessenvertreter" stattgefunden. "Eine Reihe namhafter Organisationen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die seit Jahren in der Drogenpolitik tätig sind, haben jedoch nichts davon erfahren und alle Informationen erst im Nachhinein über Twitter erhalten."

Kritik zurückgewiesen

Der Bürgerrat-Vorsitzende Paul Reid wies die Kritik zurück und erklärte, dass die Mitglieder der Beirates sehr unterschiedlich seien und verschiedene Ansichten verträten. "Ich weise die Kritik am Beirat deutlich zurück, denn der Beirat hat sehr unterschiedliche Ansichten", sagte Reid. "Menschen, die völlig unterschiedliche Ansichten über das gesamte Spektrum des Drogenkonsums haben. Leute, die für eine Entkriminalisierung eintreten, Leute, die dafür eintreten, dass wir das nicht tun sollten. Menschen, die gegenteilige Meinungen vertreten. Wir haben also die unterschiedlichsten Ansichten in der Gruppe, und sie werden uns mit Rat und Tat zur Seite stehen."

Reid kündigte an, dass neben dem Bürgerrat und dem Beirat auch eine "Gruppe für Lebenserfahrungen" eingerichtet werden soll. Die "Lived Experience Group" soll sicherstellen, dass die Perspektive von Einzelpersonen und Familien, die vom Drogenkonsum betroffen sind, gehört wird, wobei Vertreter der Gruppe auch Teil Beirats sein werden.

"Ohne faires Verfahren keine fairen Ergebnisse"

Dr. Garrett McGovern, klinischer Leiter der HSE-Abteilung für Suchtkrankheiten und einer der Unterzeichner des offenen Briefes, erklärte: "Es ist von zentraler Bedeutung, dass der Bürgerrat mit einem fairen, objektiven und transparenten Verfahren stattfindet."

Die Drogendebatte sei unglaublich polarisierend, und beide Seiten seien bestrebt, ihre Agenda durchzusetzen, manchmal um jeden Preis. "Wenn Irland eine Drogenpolitik betreiben will, die seinen Bürgern am besten dient und die Zahl der Drogentoten und der damit verbundenen negativen Folgen reduziert, dann ist der Bürgerrat eine Plattform, die dazu beitragen kann, diese Ziele zu erreichen. Ohne ein faires Verfahren haben wir keine Chance, ein faires Ergebnis zu erzielen", so McGovern.

Bürgerrat ein Abbild der Bevölkerung

Die 99 Mitglieder des Bürgerrates wurden mit Hilfe eines geschichteten Zufallsverfahren aus dem ganzen Land ausgelost. Jeder Erwachsene mit Wohnsitz in Irland kann Mitglied eines Bürgerrates werden. Dazu gehören auch Menschen, die nicht die irische Staatsbürgerschaft besitzen, und solche, die nicht im Wählerverzeichnis eingetragen sind. Damit bilden die Teilnehmer ein breites Spektrum der irischen Gesellschaft ab.

20.000 Haushalte hatten eine postalische Einladung zum Bürgerrat erhalten. Aus jedem Haushalt wurde ein Mitglied aufgefordert, sich für eine Teilnahme am Bürgerrat zu bewerben. Auf Grundlage der aktuellsten Volkszählungsdaten wurden bei der Auswahl der Teilnehmer Faktoren wie Alter, Geschlecht, Wohnort und beruflich-wirtschaftlicher Status berücksichtigt.

Der Bürgerrat trifft sich zu insgesamt sechs Wochenend-Sitzungen. Die letzte Sitzung findet am 21./22. Oktober 2023 statt. Der Abschlussbericht der Teilnehmer mit deren Empfehlungen zur Drogenpolitik wird dem Parlament bis Ende 2023 übergeben.

Bürgerräte seit 2016, vier Referenden

Seit 2016 haben sich Bürgerräte in Irland mit den Themen Abtreibung, alternde Gesellschaft, Biodiversität, zeitlich festgelegte Legislaturperioden für das Parlament, Regeln für Volksentscheide, Klima und Geschlechtergerechtigkeit befasst. Zuvor gab es von 2013 bis 2014 einen zu zwei Dritteln mit ausgelosten Bürgern besetzten Verfassungskonvent, auf dem über die gleichgeschlechtliche Ehe, Gotteslästerung, das Wahlrecht, ein Mindestalter für Präsidentschaftskandidaten, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und die Rolle von Frauen in der Politik beraten wurde.

Empfehlungen der Bürgerräte zu Abtreibung, gleichgeschlechtlicher Ehe und die Streichung des Paragraphen zur Gotteslästerung aus der Verfassung fanden in obligatorisch vorgeschriebenen Verfassungsreferenden eine Mehrheit. Die vom Verfassungskonvent vorgeschlagene Senkung des Mindestwahlalters für Präsidentschaftskandidaten von 35 auf 21 Jahre wurde von den Abstimmenden hingegen abgelehnt.

Mehr Informationen: Bürgerrat zum Drogenkonsum

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