Bürgerrat per Bürgerantrag
Konstanz ist die erste deutsche Stadt, in der ein Bürgerrat aus der Bevölkerung heraus beantragt werden kann. Der Gemeinderat hat am 16. Mai 2024 entsprechende Richtlinien zur Erprobung von gelosten Bürgerversammlungen beschlossen.
Für einen Antrag auf Einsetzung eines Bürgerrates sind 800 Unterschriften von Einwohnerinnen und Einwohnern der Bodenseestadt notwendig. Der Gemeinderat muss aber die Einrichtung eines Bürgerrats beschließen. Dies ist wie andernorts auch aufgrund einer Vorlage der Verwaltung oder auf Antrag einer oder mehrerer Fraktionen im Gemeinderat möglich.
Vorbild Vorarlberg
Die Kommune orientiert sich damit an einer Regelung im österreichischen Bundesland Vorarlberg wo mindestens 1.000 Einwohner einen Bürgerrat zu einem von ihnen gewünschten Thema beantragen können. In der polnischen Stadt Danzig gibt es eine ähnliche Regelung. Hier sind 1.000 Unterschriften für einen unverbindlichen Antrag und 5.000 Unterschriften für eine Verpflichtung des Bürgermeisters zur Einberufung eines Bürgerrates erforderlich. In Baden-Württemberg wollen Grüne und CDU es ermöglichen, mit einem Volksantrag ein landesweites Bürgerforum mit zufällig gelosten Bürgern einzuberufen. Dies haben beide Parteien 2021 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.
In Konstanz soll ein Bürgerrat aus 12 bis 30 zufällig ausgelosten Einwohnern der Stadt bestehen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten eine Aufwandsentschädigung von 30 Euro. Auch die Erstattung von Kinderbetreuungskosten ist möglich.
Neutrale Moderation
Zu jedem Thema soll ein Bürgerrat nur einmalig und nicht-öffentlich tagen. Die Teilnehmer erhalten das für ihre Beratungen notwendige Wissen von mit dem jeweiligen Thema vertrauten Fachleuten. Diese werden durch einen Beirat bestimmt. Eine Moderation durch eine neutrale Agentur soll sicherstellen, dass alle Bürgerrat-Mitglieder auch gehört werden. Die Agentur wird durch ein formelles Ausschreibungsverfahren durch die Stadt Konstanz, auf der Grundlage der vom Beirat festgelegten Anforderungen ermittelt wird.
Die Teilnehmer einigen sich auf gemeinsame Vorschläge oder ein Meinungsbild. Ablauf und Ergebnisse jedes Bürgerrates werden in einer Dokumentation zusammengefasst. Die Entscheidungsfindung erfolgt im Konsentverfahren.
Konsentverfahren
Die Entscheidungsfindung im Konsent hat anders als im Konsens nicht das Ziel, alle Widersprüche gegen eine mögliche Entscheidung gänzlich aufzulösen. Dazu werden im Konsent “Bedenken” und “schwerwiegende Einwände” unterschieden. Während “Bedenken” die Entscheidungsfindung nicht blockieren, werden “schwerwiegende Einwände” gewürdigt und in der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Im Konsent gilt eine Entscheidung als dann getroffen, wenn es keine (begründeten) schwerwiegenden Einwände mehr gibt.
Mit dem Konsentverfahren sollen Abstimmungen effektiver verlaufen und qualitativ bessere Entscheidungen als im Konsens getroffen werden. Vorteile: Alle betroffenen Bürgerrat-Mitglieder werden gehört. Bedenken gegen die Entscheidung blockieren die Entscheidungsfindung nicht.
Ergebnisvorstellung im Bürgercafé
Die Ergebnisse eines Konstanzer Bürgerrates werden zunächst in einem Bürgercafé der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Anschluss daran tagt eine „Resonanzgruppe" aus Vertretern des Bürgerrates und der Verwaltung. Dort werden die Ergebnisse besprochen werden. Dazu sind auch Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinderatsfraktionen eingeladen. Auch diese Regelung hat ihren Ursprung in Vorarlberg.
Nach den Beratungen in der Resonanzgruppe erstellt die Verwaltung eine Vorlage für den Gemeinderat, in der mitgeteilt wird, ob und wie die Vorschläge aus dem Bürgerrat umgesetzt werden können. Der Gemeinderat bindet die Ergebnisse des Bürgerrates dann in seine Entscheidungsfindung ein.
Vor- und Nachbereitung durch Beirat
Zur Vor- und Nachbereitung eines Bürgerrates soll jeweils ein Beirat gegründet werden. Dieser soll sich aus zwei Mitarbeitern der Verwaltung, zwei Vertretern aus den letzten beiden Bürgerräten und.einem Mitglied des Vereins Konstanzer Bürger:innenkonzil zusammensetzen. Der Verein setzt sich seit 2020 für Bürgerräte in Konstanz ein. Wurde der jeweils aktuelle Bürgerrat aus der Bevölkerung heraus ins Leben gerufen, sind auch zwei Vertreter aus den Reihen der Initiatoren der Unterschriftensammlung Teil des Beirats. Der Beirat arbeitet wie der Bürgerrat im Konsentverfahren.
Bürgerräte sind „ein probates Mittel, die Demokratie zu stärken“, findet Christine Finke (Junges Forum). Sie sprach sich in der Ratssitzung für das aufsuchende Losverfahren aus. Dabei werden die ausgelosten Einwohner persönlich aufgesucht; um eine größere Vielfalt von Menschen im Bürgerrat zu erreichen.
Aufsuchendes Losverfahren abgelehnt
Simon Pschorr (Linke Liste) befürchtet, dass ohne dieses Verfahren lediglich ohnehin politisch engagierte Menschen an einem Bürgerrat teilnehmen würden. Er will erreichen, dass auch Arbeiter, Mittelständler und Menschen mit Migrationshintergrund in dem Gremium vertreten sind.
Als Beauftragter für Bürgerbeteiligung der Stadt Konstanz wandte Martin Schröpel ein, dass das aufsuchende Losverfahren „ungeheuer aufwendig“ sei. Zunächst gehe es um eine zweijährige Erprobungsphase. Aufgrund der Erfahrungen könne nachgebessert werden. Der Antrag von Simon Pschorr zum aufsuchenden Losverfahren wurde von der Mehrheit des Gemeinderates abgelehnt.
Konzepterarbeitung 2021 beschlossen
Der Gemeinderat hatte bereits 2021 die Erarbeitung eines Konzepts zur Einbindung von Bürgerräten in kommunale Planungs- und Entwicklungsprozesse beschlossen. Die Erstellung des Konzepts erfolgte gemeinsam mit dem Verein "Konstanzer Bürger:innenkonzil".
Bedingt durch die Corona-Pandemie und weitere Arbeitsaufträge hatte sich die Konzeptentwicklung verzögert. Nach einer öffentlichen Auftaktveranstaltung im Konzil am 06.07.2022 wurde mit der gemeinsamen Erstellung des Konzepts begonnen. Die Erarbeitung erfolgte auf der Grundlage der vom Gemeinderat beschlossenen Leitlinien für Bürgerbeteiligung, die den Rahmen für die Bürgerbeteiligung in Konstanz beschreiben.
Richtlinie zeitlich befristet
Das Konzept wurde nun in Erprobungsrichtlinien gefasst, die zeitlich befristet sind und damit eine Nachbetrachtung bzw. eine Nachsteuerung ermöglichen.
Ziele des Konzepts:
- Bürgerräte als Methode in kommunale Planungsprozesse einzuführen.
- Weitere Erfahrungen zu sammeln, um demokratische Beteiligungsverfahren mittels Bürgerräten zu institutionalisieren oder in einen geregelten Zusammenhang mit den kommunalen Entscheidungsstrukturen zu bringen.
- Die Grundlagen für eine weitere mögliche Entwicklung zum Thema „Einbindung von Zufallsbürgern in Planungsprozesse" nach der Erprobungsphase zu legen.
Vorherige Gehversuche
Die Erprobungsregelungen sind für die Dauer der Erprobung ab Beschluss im Gemeinderat für zwei Jahre befristet. Nach den zwei Jahren legt die Verwaltung eine erneute Vorlage zum weiteren möglichen Einbezug bzw. der Rolle von Bürgerräten für kommunale Entscheidungsprozesse vor sowie deren formellen Einbezug in die Leitlinien für Bürgerbeteiligung der Stadt Konstanz.
Die neuen Bürgerrat-Regeln sind nicht der erste Schritt der Stadt Konstanz in Sachen Losdemokratie. Im Rahmen des Bürgerbudgets bindet die Stadt Konstanz bereits seit 2019 Bürgerräte in die Entscheidungsfindung ein. 2023 hatte die Stadt ein Bürgerrat zum Klimamobilitätsplan der Kommune eingesetzt.