Bürgerrat für Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz

12. Juni 2025
Xenia Hübner / Flickr (CC BY 2.0)

Wie können Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz in Neubrandenburg sichtbar werden? Über diese Frage wird seit längerem diskutiert. Vom 11. Juni bis 1. Juli 2025 hat ein Bürgerrat Antworten gesucht.

Der Bürgerrat hatte 25 zufällig ausgewählte Menschen aus der Stadt in Mecklenburg-Vorpommern zusammengebracht. Ende April 2025 waren 285 per Zufallsauswahl aus dem Einwohnermelderegister der Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg ausgewählte Personen ab 16 Jahren zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen worden.

Aus den von 36 Ausgelosten eingereichten Teilnahmebewerbungen wurde eine Gruppe zusammengestellt, die nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Wohnort und Staatsangehörigkeit ein möglichst gutes Abbild der Bevölkerung der Stadt war. Für ihre Teilnahme hatten die Bürgerrat-Mitglieder eine Aufwandsentschädigung von 150 Euro erhalten.

Empfehlungen für die Stadtvertretung

Bis 1. Juli 2025 haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam gearbeitet und in drei Sitzungen über wichtige Themen aus den Bereichen Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz beraten. Zu Beginn der Sitzungen hatten die Mitglieder der Losversammlung kurze, verständliche Vorträge gehört, die in das Thema eingeführt und offene Fragen geklärt haben. Niemand musste über besondere Vorkenntnisse verfügen.

Anschließend hatten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem geschützten, nichtöffentlichen Rahmen in kleinen Gruppen über ihre Erfahrungen, Ansichten und Ideen ausgetauscht. Die Gespräche wurden moderiert, sodass jede und jeder zu Wort kam.

Am Ende hatte der Bürgerrat gemeinsam Empfehlungen und Ideen formuliert, die am 23. Juli 2025 an Stadtverwaltung und Stadtvertretung übergeben werden. Dort erfolgt dann eine detaillierte Beratung, um zu prüfen, ob und wie diese Vorschläge umgesetzt werden können.

Begleitgruppe

Zur Vorbereitung des Bürgerrates war eine Begleitgruppe gebildet worden. Sie setzte sich aus Vertreterinnen und Vertretern aller Fraktionen in der Stadtvertretung, der Stadtverwaltung, der lokalen Partnerschaft für Demokratie und dem Jobcenter Mecklenburgische Seenplatte-Süd zusammen. Die Aufgabe der Gruppe war es, den Rahmen für den Bürgerrat festzulegen.

Das gesamte Verfahren wurde zudem von einem unabhängigen Team des Projektes „Bürgerräte für M-V“ der Initiative Zukunftshandeln vom fint e.V. begleitet und aus Mitteln der Partnerschaft für Demokratie NB im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert.

Streit über Regenbogenflagge

Auslöser des Bürgerrates war das Entfernen einer Regenbogenflagge von einem Fahnenmast auf dem Bahnhofsvorplatz. Auf einer Regenbogenfahne befinden sich symbolhaft die gleichen Farben wie in einem Regenbogen. Sie gilt auch als Zeichen für Toleranz und Akzeptanz der Vielfalt von Lebensformen. Seit den 1970er Jahren gilt die Fahne als Symbol für den Stolz lesbischer, schwuler und anderer Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten.

In die Wege geleitet wurde die Entscheidung zur Entfernung der Flagge von Ratsherr Tim Großmüller (Stabile Bürger Neubrandenburg). Der Neubrandenburger Unternehmer hatte beantragt, dass die Regenbogenflagge an keinem der drei Fahnenmasten auf dem Bahnhofsvorplatz gehisst werden darf.

„Politische Neutralität wahren“

Großmüller hatte seinen Antrag damit begründet, dass es in der Vergangenheit mehrfach zu Straftaten im Zusammenhang mit der Regenbogenflagge gekommen sei, unter anderem Diebstahl und dem anschließenden Hissen verbotener Hakenkreuzflaggen. Um Vorfälle wie diese zu vermeiden, solle die Flagge entfernt werden.

Zudem sollen öffentliche Gebäude politische Neutralität wahren und keine kontroversen Symbole oder Signale senden, heißt es in der Begründung seines Antrags. Das Stadtwappen von Neubrandenburg habe obendrein auf der Regenbogenflagge nichts zu suchen und solle nicht in diesem Zusammenhang verwendet werden. Dies widerspreche dem Zweck und der Bedeutung des Wappens, das alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt repräsentiere.

Die AfD sowie Mitglieder der Fraktion Projekt NB und des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)/Bürger für Neubrandenburg(BfN) hatten dem Antrag zur Mehrheit verholfen.

Kritik an Entscheidung

Nach der Entscheidung wurde Kritik an diesem Beschluss laut. Vor dem Hintergrund von Angriffen auf das Zentrum des Vereins Queer NB wünschte sich dessen Vorsitzender Marcel Spittel, „dass wir Solidarität in der Stadt erfahren. Aber jetzt fasst die Stadtvertretung auch noch einen Beschluss, der queere Sichtbarkeit einschränkt.“

Markus Rahmstorf, Aussteiger aus der rechten Szene in Neubrandenburg, äußerte sich ebenfalls kritisch. Die Regenbogenflagge sei ein Symbol für eine weltoffene Stadt sowie ein Zeichen der Solidarität für sexuelle Vielfalt. Er könne die Entscheidung der Stadtvertretung nicht nachvollziehen, dass die Regenbogenfahne jetzt nicht mehr am Bahnhof öffentlich hängen solle. Die beiden Fälle, in denen die Regenbogenfahnen durch Hakenkreuzflaggen ersetzt wurden, wertete der er als einen Angriff auf die Demokratie.

Oberbürgermeister zurückgetreten

Der offen homosexuell lebende Oberbürgermeister Silvio Witt hatte am Tag nach der Entscheidung der Stadtvertretung seinen Rücktritt angekündigt. Er hatte erklärt, dass es in seiner Wahrnehmung kaum noch um die Sache, sondern fast nur noch um persönliche Dinge gehe. Er sprach von "einer Menge Druck, der ausgeübt wird" und von Auswirkungen auf "Ehemann, Familie, Freunde". Er wolle sein privates Umfeld schützen. Witt wäre regulär noch bis 2029 im Amt gewesen.

Ein fraktionsübergreifendes Bündnis der Stadtvertretung hatte die Stadtverwaltung deshalb am 13. November 2024 beauftragt, ein Konzept für ein weltoffenes, vielfältiges und tolerantes Neubrandenburg zu entwickeln. Die Stadtverwaltung hatte daraufhin vorgeschlagen, einen Bürgerrat einzurichten. Am 23. Januar 2025 hatte sich der Hauptausschuss der Stadtvertretung in einem Votum für einen solchen Bürgerrat ausgesprochen.

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