Bürgerrat für mehr Mitbestimmung bei KI-Forschung
Der baden-württembergische Bürgerrat „KI und Freiheit“ gibt neun Empfehlungen, wie Bürgerinnen und Bürger bei der öffentlich geförderten Erforschung und Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) beteiligt werden können. Die Bürgerrat-Mitglieder haben ihre Erkenntnisse am 10. März 2025 Wissenschaftsministerin Petra Olschowski übergeben.
Unter anderem empfiehlt der Bürgerrat den Aufbau einer sicheren Infrastruktur für Datenspenden, eine Sammelstelle für Vorschläge zur KI-Forschung und eine bessere Vernetzung von medizinischen Fachkräften, Patientinnen und Patienten sowie Forschenden mithilfe von KI. Bei der Künstlichen Intelligenz in der Verkehrspolitik regen die Mitglieder die Einrichtung eines ständigen Bürgerrates an. Dieses Gremium soll dabei helfen, die Sicherheit von Radwegen zu erhöhen und CO2-Emissionen im Straßenverkehr zu senken.
"Wichtig, Bürger mitzunehmen"
„Künstliche Intelligenz verändert unsere Lebenswelt. Deshalb ist es wichtig, Bürgerinnen und Bürger in diesem Transformationsprozess mitzunehmen und zu beteiligen. Der Bürgerrat ,KI und Freiheit‘ der Universität Tübingen leistet hierbei Pionierarbeit. Die zufällig ausgelosten Mitglieder aus dem Land kommen mit Forschenden ins Gespräch und haben die Chance, ihre individuelle Perspektive einzubringen. Ich danke den Bürgerinnen und Bürgern für ihr Engagement: Ihre Empfehlungen geben nicht nur wichtige Impulse für die KI-Forschung und -Entwicklung, sie fördern auch die gesellschaftliche Diskussion“, sagte Wissenschaftsministerin Petra Olschowski.
„Forschungsergebnisse und technologische Entwicklungen beeinflussen das Leben aller Bürgerinnen und Bürger. Deshalb sollten deren Interessen, Bedürfnisse und Perspektiven frühzeitig berücksichtig werden“, betonte auch Professorin Dr. Dr. h.c. (Dōshisha) Karla Pollmann, Rektorin der Universität Tübingen. Ein Rat von Bürgerinnen und Bürgern sei dafür ein effektives Mittel, um im Austausch gemeinsam an den besten Lösungen zu arbeiten und auch Vorschläge zur Umsetzung zu erarbeiten.
Empfehlungen für Exzellenzcluster
Der Bürgerrat stellt seine Empfehlungen auch dem Exzellenzcluster „Maschinelles Lernen für die Wissenschaft“ der Universität Tübingen und dem Public Advisory Board des Cyber Valley zur Verfügung. Dieser Innovationscampus des Landes ist der größte KI-Forschungsverbund dieser Art in Europa.
Künstliche Intelligenz (KI) hat Auswirkungen auf den Alltag aller Menschen. Woran sollte sich also die Forschung an KI orientieren? Auch in Baden-Württemberg wird Forschung zu Künstlicher Intelligenz mit öffentlichen Geldern finanziert und gefördert. Dadurch kann das Land Rahmenbedingungen und Ausrichtung von KI-Forschung mitgestalten und Schwerpunkte setzen.
Was ist künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz nutzt Computer und Maschinen, um die Problemlösungs- und Entscheidungsfähigkeiten des menschlichen Verstands nachzuahmen. Eine KI ist in der Lage, Informationen aus Daten zu ziehen, die ein Mensch niemals erfassen könnte, etwa weil sie zu zahlreich sind oder vorhandene Muster zu komplex sind, um sie zu erkennen. Statt für jeden Zweck programmiert zu werden, kann eine KI eigenständig Antworten finden und selbstständig Probleme lösen.
Im Bürgerrat hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre persönlichen Sichtweisen zu und Erfahrungen mit künstlicher Intelligenz eingebracht. Gemeinsam sind sie der Frage nachgegangen, wie sich künstliche Intelligenz auch in der konkreten persönlichen Lebenswelt auf individuelle und gesellschaftliche Freiheit auswirkt und welche Möglichkeiten der Beteiligung es für sie gibt. Im Verlauf konnten sich die Teilnehmer mit KI-Expertinnen und Experten austauschen und auf diese Weise Einblicke erhalten.
Teilnehmer zufällig ausgelost
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bürgerrates „Künstliche Intelligenz und Freiheit“ waren zufällig ausgelost worden. Dadurch wurden faire Voraussetzungen zur Teilnahme sichergestellt. Es traf dadurch eine zufällig zusammengestellte Gruppe aufeinander, die möglichst unterschiedliche Perspektiven und individuelle Erfahrungen in den Bürgerrat eingebracht hat.
Bei der Auslosung der Gemeinden wurde darauf geachtet, dass Gemeinden aller vier Regierungsbezirke Baden-Württembergs vertreten sind. Zugleich sollten im Bürgerrat Menschen aus unterschiedlich großen Gemeinden zusammenkommen, weshalb pro Regierungsbezirk jeweils eine Gemeinde, eine Kleinstadt, eine mittelgroße Stadt und eine Großstadt ausgelost wurden. Mit dabei waren die Kommunen Hemsbach, Kleines Wiesental, Reutlingen und Waiblingen.
Abbild der Bevölkerung
Aus jeder der gelosten Gemeinden haben jeweils anteilig so viele Bürgerinnen und Bürger am Rat teilgenommen, dass es dem Bevölkerungsanteil in der jeweiligen Gemeindegröße in Baden-Württemberg entsprach.
Insgesamt waren 3.239 zufällig geloste Personen zum Bürgerrat eingeladen worden. Davon hatten 156 (4,8 Prozent) ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet. Aus den Rückmeldungen wurde die Losversammlung mit 40 Mitgliedern so zusammengestellt, dass sie nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Bildung, Wohnort und Migrationshintergrund ein annäherndes Abbild der Bevölkerung war.
Öffentliche Begleitveranstaltungen
Der Bürgerrat "Künstliche Intelligenz und Freiheit" hatte sich ab dem 21. September 2024 an vier verschiedenen Orten getroffen und darüber gesprochen, wie Forschung zu Künstlicher Intelligenz in Zukunft sein sollte, damit sie gesellschaftlichen Werten entspricht und auch die Wissenschaftsfreiheit im Blick behält.
Zusätzlich zu den Sitzungen des Bürgerrates gab es jeweils einen Tag vorher öffentliche Begleitveranstaltungen, an denen es um die im Rat verhandelten KI-Themen ging. Hierzu waren alle Interessierten eingeladen. Die Begleitveranstaltungen haben durch unterschiedliche Formen der Interaktion auch den Teilnehmern die Möglichkeit gegeben, sich einzubringen, Fragen zu stellen und in den Austausch mit Expertinnen und Experten aus der KI-Forschung und Entwicklung zu treten. Am 23. November 2024 hatte der Bürgerrat seine Arbeit beendet.
Mit der offiziellen Übergabe der Empfehlungen ist der Prozess des Bürgerrats nicht abgeschlossen. Ergebnisse und Auswirkungen des Projekts werden auf der Internetseite des Bürgerrates laufend dokumentiert.
"Ich bin gewachsen"
Die Teilnahme am Bürgerrat hat für Jenny Pfister (43) aus Hemsbach persönlich einen Unterschied gemacht. Sie ist Mutter von drei Kindern, hat eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen und arbeitet seit vielen Jahren für einen Personaldienstleister in Mannheim. „Ich bin gewachsen. Ich bin vielleicht eine kleine Leuchte, aber ich kann leuchten“, sagt Pfister. Und vielleicht könne sie andere Menschen ermutigen, sich ebenfalls einzubringen mit ihrer Perspektive. „Wenn es um unsere gemeinsame Zukunft geht, sind wir alle Experten.“
Auch Arthur Zechiel aus Waiblingen hat im Bürgerrat mitdiskutiert. Der 57-jährige ist Schlossermeister und zweifacher Opa. In Arbeitsgruppen mit Fremden zusammen über ein kompliziertes Thema zu diskutieren, sich am Ende auch zu einigen - das war für den Handwerksmeister etwas Neues. Es habe aber ganz gut geklappt, die Gruppe habe "eigentlich gut harmoniert". Und das trotz deutlicher Unterschiede, etwa beim beruflichen Vorwissen zum Thema KI und auch beim Alter. Manche Teilnehmer waren unter 20 Jahre alt, andere über 70. Für Zechiel war der Bürgerrat auch "gelebte Demokratie".
Bürgerrat-Mitinitiator Patrick Klügel nimmt aus dem Bürgerrat vor allem zwei Erkenntnisse mit: „Menschen, die sich anfangs nicht kompetent fühlen, etwas über Künstliche Intelligenz zu sagen, kann so ein Projekt befähigen, wichtige Perspektiven bei der Gestaltung von KI-Forschung einzubringen“, sagt er. Auch sei er überrascht, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereit waren, „konstruktiv mitzudenken“, sagte Klügel. „Es hätte ja auch sein können, dass sie sich eher auf Regulierungen konzentrieren, so wie wir es derzeit im politischen Diskurs sehen.“
Finanzierung aus Exzellenzstrategie
Der Bürgerrat wurde über Mittel aus der Exzellenzstrategie finanziert. Mit der Exzellenzstrategie stärken Bund und Länder die universitäre Spitzenforschung. Gefördert werden Exzellenzcluster zu bestimmten Forschungsfeldern und Exzellenzuniversitäten als strategische Unterstützung herausragender Universitätsstandorte. Beteiligt sind das Zentrum für rhetorische Wissenschaftskommunikationsforschung zur künstlichen Intelligenz (RHET AI) und das Internationale Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) an der Universität Tübingen.
Ideelle Partner und Unterstützer des Bürgerrates sind der Exzellenzcluster Maschinelles Lernen für die Wissenschaft der Universität Tübingen, die Cyber Valley GmbH sowie weitere Einrichtungen und Forschungsinstitute in Baden-Württemberg. Das Projektteam wurde beraten von Mehr Demokratie und von einer interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Begleitgruppe. An der Durchführung war die Agentur translake GmbH beteiligt.
Forschungsprojekt zum Einbezug von Bürgern
Im Rahmen des Bürgerrates haben die Organisatoren die dialogische Beteiligung mit Wissenschaftskommunikation verbunden. Den Initiatoren des Bürgerrats KI und Freiheit war es dabei ein besonderes Anliegen, dass die Perspektiven ganz unterschiedlicher Menschen über den Bürgerrat in den weiteren KI-Diskurs und in die politischen Entscheidungsprozesse rund um die öffentlich geförderte KI-Forschung einfließen können.
Der Bürgerrat wurde deshalb durch ein Forschungsprojekt von Anika Kaiser von RHET AI begleitet, das untersucht hat, welche Hürden dem Einbezug von Bürgern und damit ihrem Wissen, ihren Alltags- und Lebenserfahrungen und ihren Wertvorstellungen, im Bürgerrat entgegenstehen und wie das Wissen von Menschen mit unterschiedlichsten Identitätsmerkmalen produktiv einbezogen werden kann.