Bürgerräte: Schwarz-Rot gibt grünes Licht

10. April 2025
Deutscher Bundestag / Robert Boden / Mehr Demokratie

CDU/CSU und SPD wollen weitere bundesweite Bürgerräte einberufen. Das haben die drei Parteien in ihrem am 9. April 2025 vorgestellten Koalitionsvertrag vereinbart. Von den Empfehlungen des 2023/24 durchgeführten Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ findet sich in der schwarz-roten Vereinbarung aber fast nichts wieder.

In einer Pressemitteilung verbucht der Verein „Mehr Demokratie“ die Fortführung der Bürgerräte trotzdem auf der Haben-Seite. „Die Erfahrungen aus dem Bürgerrat zur Ernährung zeigen, dass sich das Instrument im Praxistest bewährt hat. Hier auf Kontinuität zu setzen, ist richtig“, so Bundesvorstandssprecher Ralf-Uwe Beck. Mehr Demokratie schlägt vor, dass sich ein Bürgerrat begleitend zur im Vertrag geplanten Enquetekommission mit der Aufarbeitung der Corona-Pandemie befasst.

Corona-Bürgerrat 2024 vorerst gescheitert

Im Herbst 2024 hatten sich die seinerzeitigen Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP nicht auf einen solchen Bürgerrat einigen können, obwohl sich Vertreterinnen und Vertreter aller drei Parteien in den Monaten zuvor dafür ausgesprochen hatten. Kurz nach der Ankündigung, keinen Corona-Bürgerrat einzuberufen, kam es zum Bruch der Koalition.

Durch die deswegen vom Herbst 2025 auf den 23. Februar vorgezogene Bundestagswahl konnten auch die Beratungen des Parlaments über die Empfehlungen des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ nicht abgeschlossen werden.

Ernährungsempfehlungen nicht umgesetzt

Hermann Färber (CDU), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Ernährung Landwirtschaft, hatte sich bei der Übergabe eines Sachstandsberichts an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am 11. Februar 2025 nachdenklich gezeigt. „Durch das vorzeitige Ende der Wahlperiode war eine Befassung des Ausschusses mit den weiteren Empfehlungen nicht mehr möglich. Für ein Votum des Ausschusses, das über eine bloße Kenntnisnahme hinausgehen sollte, fand sich keine Mehrheit“, schrieb er in dem Bericht. Es stehe dem 21. Deutschen Bundestag allerdings frei, das Bürgergutachten oder einzelne seiner Empfehlungen erneut aufzugreifen. Dazu kommt es nun zumindest laut Koalitionsvertrag nicht.

Die wichtigste Forderung des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ war ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder in Schulen und Kindergärten. Zudem wurden unter anderem ein staatliches Label für die Bereiche Klima, Tierwohl und Gesundheit und eine Reform der Lebensmittel-Besteuerung vorgeschlagen.

Wahlversprechen nicht gehalten

Die SPD hatte vor der Bundestagswahl 2025 versprochen, ein kostenloses Mittagessen für Schüler einzuführen. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD findet sich das Thema nur insofern, "dass alle Kinder mit Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) das kostenlose Mittagessen in Kita und Schule auch erhalten. Dafür sollten die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, beispielsweise über einen Sammelantrag der Schule, vollumfänglich und flächendeckend ausgeschöpft werden." In Startchancen-Kitas und -Schulen will die Koalition "modellhaft ein bürokratiearmes BuT-Budget für das Mittagessen erproben".

Beim Thema Tierwohl-Kennzeichnung kündigen CDU/CSU und SPD an: "Wir reformieren unter Einbeziehung der Beteiligten der gesamten Wertschöpfungskette das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz grundsätzlich, um es praxistauglich zu gestalten und auf das Tierwohl auszurichten."

"Für all die engagierten Menschen aus dem Bürgerrat Ernährung muss dieser Koalitionsvertrag (...) eine bittere Enttäuschung sein“, erklärte die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch in einer Pressemitteilung.

„Höhere Ergebnisverbindlichkeit möglich“

Weil Bürgerrat-Empfehlungen auch in anderen Fällen in Schubladen verschwinden, fordern Kritiker mehr Verbindlichkeit für die Ergebnisse von Losversammlungen. „Es ist auf jeden Fall eine höhere Ergebnisverbindlichkeit möglich“, sagt so etwa der Jurist Dr. Ademir Karamehmedovic, der über Fragen der Verfassungsmäßigkeit von Bürgerräten promoviert hat.

Es sei möglich, dass ein Bürgerrat eine Aufforderungs-Kompetenz gegenüber der Bundesregierung erhalte, einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten. Ein Bürgerrat könne auch das Recht bekommen, selbst einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten, zu dem sich dann Bundesregierung und Parlament verhalten müssten. Er könne Stellungnahmen in bereits laufenden Gesetzesverfahren abgeben. „Ich bin außerdem zu dem Schluss gekommen, dass auch ein Rederecht eines Bürgerrates im Plenum des Bundestags vom Grundgesetz gedeckt würde“, so Karamehmedovic.

34 bundesweite Losverfahren

Bis heute fanden auf Bundesebene 34 Losversammlungen statt. Bereits 1982/83 hatten sich 485 zufällig geloste Bürgerinnen und Bürger in sogenannten Planungszellen mit Fragen der Energiepolitik befasst. Auftraggeber des Verfahrens war das Bundesministerium für Forschung und Technologie. Seitdem gab es zahlreiche weitere Verfahren u.a. zu den Themen Bildung, Demokratie, Desinformation, Europa, Freihandel, Klimaschutz und Verkehr. Der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ war die erste vom Bundestag eingesetzte Losversammlung.

Derzeit läuft eine Ariadne-Bürgerdeliberation zur Finanzierung von Klimamaßnahmen, Wärmewende und Verkehrswende. Im Mai und Juni beraten 40 zufällig geloste Menschen aus zehn deutschen Städten und Gemeinden in einer Bürgerdebatte in Erfurt über das Thema Steuer- und Finanzgerechtigkeit.

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