Bürger-Erklärung zu Robotik in der Altenpflege
Am 15. Juli 2024 haben Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer zufällig gelosten Bürgerkonferenz im Bundesministerium für Gesundheit eine Erklärung zur Robotik in der Altenpflege übergeben. Diese Erklärung, erarbeitet von Potsdamer Bürgerinnen und Bürgern, enthält ethische Orientierungspunkte für den verantwortungsvollen Einsatz von Robotik in der Pflege. Sie betont die Notwendigkeit, dass Robotik nur unterstützend und nicht als Ersatz für menschliche Pflege eingesetzt werden darf.
"Roboter können durch menschliches Personal geleistete Pflege nicht ersetzen. Durch den zukünftig denkbaren breiten Einsatz von Robotik hoffen wir allerdings, dass Pflegende von repetitiven, unterstützenden Tätigkeiten entlastet werden können, um mehr Zeit für hochwertige Pflegetätigkeiten und individuelle Betreuung zu gewinnen“, hei0t es in der Erklärung der Bürgerkonferenz.
20 Forderungen
Insgesamt wurden 20 Forderungen formuliert, um den verantwortlichen Einsatz von Robotik sicherzustellen. So empfiehlt die Bürgerkonferenz, Lösungen aus dem Bereich der sozialen Robotik nur dann einzusetzen, wenn sie sowohl für die Pflegenden als auch für die zu pflegende Person einen nachgewiesenen Mehrwert darstellen.
Soziale Robotik soll menschliche Pflege keinesfalls ersetzen, sondern unterstützend eingesetzt werden. Ein Vorantreiben der Anwendung von sozialer Robotik in der Pflege sei notwendig. Dabei dürfe aber der Ausbau von alternativen Pflegeoptionen nicht vernachlässigt werden. Soziale Robotik müsse auch für häusliche Pflege entwickelt werden, um diese zu verbessern und den zu Pflegenden zu ermöglichen, länger in ihrer gewohnten Umgebung zu leben.
Studien notwendig
Die Bürgerkonferenz fordert „Studien, die die Realitäten und Potenziale im Zusammenhang mit sozialer Robotik in der Pflege für zu Pflegende und Pflegende abbilden“. Um eine gute Pflege zu gewährleisten, stellten diese Kenntnisse eine elementare Grundlage dar. Sie seien Ausgangspunkt für die zukünftige Entwicklung der (sozialen) Robotik für die Pflege und ihren sinnvollen Einsatz.
Der Einsatz sozialer Robotik muss den Bedingungen einer guten Pflege entsprechen, so die Bürgerkonferenz. Aus den Merkmalen guter Pflege ergebe sich für die Teilnehmer die Forderung, dass Roboter niemals als Ersatz menschlicher Pflege eingesetzt werden dürften, sondern diese nur unterstützen könnten.
Recht auf gute Pflege
Vor ihrem flächendeckenden Einsatz seien umfassende Studien zu den psychischen und physischen Auswirkungen sozialer Robotik auf die Pflegebedürftigen zwingend erforderlich. „Der individuelle Wille hinsichtlich des Einsatzes sozialer Robotik muss rechtssicher formuliert werden, z.B. in einer Patientenverfügung“, so die Bürgerkonferenz. Jeder habe das Recht auf gute Pflege, unabhängig von der Zustimmung zur sozialen Robotik. Keinesfalls dürfe ein Zwang zum Einsatz von sozialer Robotik entstehen.
Mit dem Einsatz sozialer Robotik müsse eine ungleiche Verteilung der Nutzungsmöglichkeiten verhindert und ein gleichberechtigter Zugang für alle gewährleistet werden. „Sollte die Gefahr bestehen, dass menschenähnliche Roboter als solche durch die Pflegebedürftigen nicht erkannt werden, dürfen diese zur Vermeidung der Täuschung nur unter Aufsicht eingesetzt werden“, fordert die Losversammlung.
„Digitalisierungsstrategie unabdingbar“
Studien und Anwendungen zur sozialen Robotik sollen in Ausbildungs- und Fortbildungsprogramme der Pflegekräfte einbezogen werden. Außerdem sollten Qualifikationen und Befähigungen entsprechend anerkannt werden. Eine Digitalisierungsstrategie für die Pflege sei unabdingbar.
„Grundlagen für den Datenschutz sind die EU-Datenschutz-Grundverordnung und das Bundesdatenschutzgesetz. Sie sollen für die weiteren Leitlinien, Standards und Normen für den Bereich Pflege als Richtschnur dienen. Diese sind regelmäßig zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren“, empfiehlt die Bürgerkonferenz. Eine aus Sicht der Teilnehmer derzeit bestehende Regelungslücke bei der Gefährdungshaftung müsse geschlossen werden. Außerdem wird eine Klarstellung der neuen Pflichten zum Aktualisieren und fortgeführten Beobachten von Systemen gefordert.
Qualitätssicherung und Normierung
Um den finanziellen Nutzen von Robotik in der Pflege nachweisen zu können, sei es zunächst erforderlich, Kennzahlen über das Kostenaufkommen in allen Formen der Pflege zu ermitteln. Eine Qualitätssicherung und Normierung für robotische Systeme in der Pflege erscheine unerlässlich. Dem Ausbau der benötigten Infrastruktur müsse politisch Vorrang eingeräumt und der Ausbau schnellstmöglich umgesetzt werden.
Die Bürgerkonferenz fordert das Erarbeiten und Umsetzen von einheitlichen technischen Standards für offene Schnittstellen. Der Gesetzgeber soll in Zusammenarbeit mit den dafür zuständigen Gremien die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen. Zur Sicherstellung ihrer Finanzierung soll unterstützende Robotik als Leistung der Pflege- und Krankenversicherung rechtlich anerkannt und abgesichert werden.
Regelmäßig Bedarfe ermitteln
in regelmäßigen Abständen sollen die Bedarfe in der Pflege und die technischen Möglichkeiten der sozialen Robotik ermittelt und die weitere Entwicklung und Anwendung entsprechend der zukünftigen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst werden, um effizient einen möglichst großen Nutzen für die Anwender zu erzielen.
Die abschlie0ende Forderung lautet, „dass bei der Nutzung der Künstlichen Intelligenz, insbesondere von selbstlernenden Systemen, mit entsprechender Sensibilität und Verantwortung umgegangen wird“. Bei selbstlernenden Systemen sollen soziale Roboter immer kontrollierbar bleiben.
Bürgerkonferenz im Rahmen des Projekts E-cARE
Die Bürgerkonferenz fand im Rahmen des Projekts E-cARE statt. Das Projekt erforscht den verantwortlichen Einsatz von Robotik in der Altenpflege. Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Juniorprofessur für Medizinische Ethik entwickelt hierzu für das Bundesministerium für Gesundheit eine Ethikleitlinie zur angemessenen Nutzung von technischen Assistenzsystemen.
Das Projekt E-cARE möchte die Bedingungen einer verantwortlichen Nutzung von (sozialer) Robotik in der Pflege älterer Personen untersuchen.
Fragestellungen
Dabei geht es insbesondere um folgende Fragestellungen:
- Welche ethischen Chancen und Risiken zeigen sich beim Einsatz von sozialer Robotik in der Altenpflege?
- Welche Veränderungen in Bezug auf Pflegeinteraktion und -beziehung werden durch den Einsatz sozialer Robotik wahrgenommen?
- Wie ist eine ethisch angemessene Integration von (sozialer) Robotik aus Perspektive der (potenziell zukünftig) Betroffenen realisierbar?
- Welche ethischen Prinzipien sollen den Einsatz von robotischen Assistenzsystemen (zukünftig) anleiten?
Ziel des Projekts ist eine Orientierung dazu, in welchen Bereichen und auf welche Weise eine Ergänzung oder ein Ersatz der Pflegearbeit durch (soziale) Robotik verantwortbar oder sogar geboten sein kann.
“Über die Zukunft der Pflege dürfen nicht nur Experten entscheiden. Die Meinung von Bürgern muss in der öffentlichen und politischen Debatte ebenfalls Gehör finden“, heißt es zur Begründung der Bürgerkonferenz.
25 Teilnehmer
Für die Losversammlung wurden in Kooperation mit der Stadt Potsdam 3.500 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger zur Konferenz eingeladen. Aus dem Pool der Teilnahmewilligen wurde nach verschiedenen Merkmalen eine Gruppe von 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unterschiedlichen Alters, beruflicher Prägung und unterschiedlichen Erfahrungswerten zum Thema ausgewählt.
Die Teilnehmer waren an drei Wochenenden zusammengekommen, um ein Regelwerk für den verantwortlichen Einsatz von Robotik zu entwickeln. Termine waren der 27./28. April, der 25./26 Mai und der 15./16. Juni 2024. Im Rahmen der Bürgerkonferenz wurden Sachverständige von den Teilnehmern angehört und befragt. Auch konnten die Teilnehmer die Roboter kennenlernen, die in der Altenpflege in Zukunft zum Einsatz kommen könnten.
Organisation und Moderation
Die Organisation der Bürgerkonferenz lag bei der Juniorprofessur für Medizinische Ethik mit Schwerpunkt auf Digitalisierung an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Brandenburg. Unterstützt wurde die Bürgerkonferenz durch ein Moderationsteam des Think and Do Tanks neuland21. Neuland21 beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, um die Lebensqualität insbesondere auch im ländlichen Raum zu erhöhen.
Mehr Informationen: Bürger:innenkonferenz: Robotik in der Altenpflege?