Brandenburg bekommt Bürgerräte
Andere Bundesländer haben sie schon, jetzt soll auch Brandenburg sie bekommen: zufällig geloste Bürgerräte. Im November 2025 soll der Landtag einen entsprechenden Beschluss fassen. Das geplante Thema: Ehrenamt auf dem Land. „Zusammen stark - Bürgerschaftliches Engagement in den ländlichen Regionen Brandenburgs weiterentwickeln“ soll der offizielle Titel lauten.
"Bestehende Engagement-Strukturen weiterzuentwickeln"
In dem der Märkischen Allgemeinen vorliegenden Antragsentwurf von SPD und BSW wird darauf verwiesen, dass es gerade in einem Flächenland wie Brandenburg darum gehen müsse, „bestehende Engagement-Strukturen weiterzuentwickeln, sie nachhaltig abzusichern und auf allen Ebenen dauerhaft zu verstetigen“. Das Ehrenamt stelle gerade in den ländlichen Regionen häufig eine „unverzichtbare Ergänzung oder sogar den Ersatz für staatliche bzw. kommunale Infrastrukturen dar“. Derzeit würden sich etwa 800.000 Menschen im Land ehrenamtlich engagieren.
Das freiwillige Engagement auf dem Land - vom Sportverein über die Freiwillige Feuerwehr bis zu kulturellen und sozialen Projekten - gilt als gefährdet. Die Gründe: Die Bevölkerung wird immer älter, junge Menschen wandern ab, die Wege sind weit. Ziel des Bürgerrats soll sein, ein genaues Bild davon zu erhalten, welche Maßnahmen sich Bürgerinnen und Bürger wünschen, um das Ehrenamt zu stärken und weiterzuentwickeln.
Der Bürgerrat soll aus 51 Brandenburgerinnen und Brandenburgern bestehen, die per Zufallsprinzip aus der Bevölkerung ausgewählt werden. Die Auswahl soll so erfolgen, dass der Bürgerrat in Bezug auf Alter, Geschlecht, Herkunft, Wohnort und Bildungsniveau ein Abbild der Bevölkerung ist. Alle Personen ab 16 Jahren mit Erstwohnsitz in Brandenburg können teilnehmen.
„Bürger als Alltagsexperten ernst nehmen“
Parlamentspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) sieht in den auf Diskussion und Konsensfindung ausgelegten Bürgerräten vor allem die Chance, der zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen und die Demokratie weiterzuentwickeln.
„Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger als Alltagsexperten ernst nehmen - als Menschen, die aus ihrer Lebenswirklichkeit heraus Erfahrungen, Ideen und Sichtweisen einbringen, die Politik bereichern können“, sagt Liedtke. „Der Bürgerrat ist ein zusätzliches Beratungsinstrument, das neue Perspektiven öffnet - jenseits der eingespielten Rituale des politischen Betriebs.“
SPD und BSW für Bürgerräte
Bei den Parteien, die im Brandenburger Landtag sitzen, stößt der Vorschlag auf unterschiedliche Reaktionen. SPD und Bündnis Sara Wagenknecht (BSW) finden das Vorhaben gut. Es diene der Förderung der Demokratie, sagt beispielsweise Falk Peschel vom BSW. "Es geht darum, die 88 Abgeordneten im Landtag aus Sicht der Bürger durchaus kritisch zu begleiten." Wenn es dort um Themen gehe, die im Landtag bisher in den Hintergrund treten, könne der Bürgerrat ein schwergewichtiges Votum abgeben, das auch im Parlament gehört werde, so Peschel.
Die AfD hingegen hält von der Idee nicht viel. "Das ist eine Art von Ersatzparlamentarismus", kritisiert der parlamentarische Geschäftsführer, Dennis Hohloch. Leute per Los auszuwählen sei im parlamentarischen System Deutschlands weder vorgesehen noch zielführend. Stattdessen brauche man mehr direkte Demokratie, so der AfD-Abgeordnete.
Mehr Demokratie: Ergebnisse ernst nehmen
Auch die CDU-Fraktion ist kritisch: Die Abgeordnete Ellen Fährmann weist auf bereits bestehende Beteiligungsmöglichkeiten hin, beispielsweise über den Petitionsausschuss oder bei Fachgesprächen in Ausschüssen. "Bürgerräte brauchen wir nicht auch noch", so Fährmann. Man simuliere damit nur Bürgerbeteiligung, sorge für mehr Arbeit, die am Ende aber nicht das bringen werde, was man sich von einem Bürgerrat erhoffen würde.
Der Verein Mehr Demokratie warnt vor diesem Hintergrund vor Frust, wenn die Ergebnisse von Bürgerräten nicht ernst genommen würden. „Für das Vertrauen in den Prozess ist es wichtig, dass vorab geklärt wird, wie die Ergebnisse in konkrete politische Entscheidungen einfließen", sagt Oliver Wiedmann, Sprecher des Landesverbandes Berlin/Brandenburg.
Zufallsauswahl aus Einwohnermelderegistern
Ist der Einsetzungsbeschluss des Landtages erfolgt, wird ein Beteiligungsdienstleister mit der Durchführung des Bürgerrats beauftragt. Dieser wendet sich an die Gemeinden in Brandenburg und bittet per Zufallsauswahl um die Meldedaten von bis zu 7.000 Bürgern, die dann vom Landtag angeschrieben und gefragt werden, ob sie beim Bürgerrat mitmachen wollen.
Die 51 zufällig bestimmten Mitglieder des Bürgerrats kommen 2026 zu einer ersten Sitzung im Landtag zusammen. Es schließen sich über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten weitere Treffen an - in Präsenz am Wochenende und werktags online ab 17 Uhr oder 18 Uhr, damit arbeitende Menschen dabei sein können. Die Arbeit soll neun Monate nach Einsetzung abgeschlossen sein.
Expertinnen und Experten führen auf den Sitzungen in das Thema ein, dann soll in immer neu ausgelosten Kleingruppen mit je sechs bis acht Teilnehmern auf Augenhöhe diskutiert werden. Als Aufwandsentschädigung gibt es 100 Euro pro Präsenz-Treffen, 50 Euro bei einer digitalen Sitzung. Im Landeshaushalt sind für den ersten Bürgerrat jeweils 100.000 Euro für 2025 und 2026 vorgesehen.
Petitionsausschuss hat Hut auf
Der Petitionsausschuss des Landtages soll nicht nur bei Planung und Durchführung des Bürgerrats den Hut aufhaben, sondern auch die Empfehlungen in Empfang nehmen und sie gegebenenfalls mit anderen Landtagsausschüssen und Behörden diskutieren.
Auf dieser Basis soll der Petitionsausschuss schließlich dem Landtagsplenum eine Empfehlung zur Entscheidung vorlegen. Die Abgeordneten beraten dann über die Bürgervorschläge und deren Umsetzung.
Weitere Bürgerräte zum Ehrenamt
Bereits 1998 hatten sich in Baden-Württemberg sechs zufällig geloste Bürgerforen mit Ideen zur Stärkung von Ehrenamt und gesellschaftlichem Engagement befasst. In Arnsberg und im Landkreis Marburg-Biedenkopf werden noch 2025 Bürgerräte zu diesem Thema tagen.