Birminghamer gestalten Museumszukunft
Am 30. Januar 2025 hat ein Bürgerrat im englischen Birmingham 20 Empfehlungen zur Zukunft der städtischen Museen vorgestellt. Die Losversammlung hat die Frage behandelt: „Was braucht und will Birmingham von seinen Museen, jetzt und in Zukunft, und was sollte der Birmingham Museums Trust tun, um diese Dinge zu verwirklichen?“
Der aus 26 Einwohnerinnen und Einwohnern aus ganz Birmingham zusammengesetzte Bürgerrat hatte sich zwischen September und November 2024 zu insgesamt mehr als 30 Stunden an Diskussionen getroffen.
„Museen müssen Risiken eingehen“
Die Museen in Birmingham müssen bereit sein, Risiken einzugehen, um Engagement zu fördern und zu inspirieren, heißt es im Bürgergutachten des Bürgerrates, der von der Museumsstiftung „Birmingham Museums Trust“ einberufen worden war.
„Für unsere Museen ist es wichtig, die Gemeinschaften, für die sie verantwortlich sind, d. h. die Menschen in Birmingham, einzubeziehen und zu repräsentieren, und sie sollten dabei nicht zimperlich sein“, erklären die Bürgerrat-Mitglieder in ihrem Bericht. „Wir verdienen Museen, die stolz auf uns sind, auf die wir stolz sein können und die das Einzigartige an Birmingham feiern.“
Vier Themenbereiche
Die Bürgerrat-Empfehlungen umfassen vier Themenbereiche: Finanzierung und Werbung, Erreichen neuer Zielgruppen, Barrierefreiheit und Inklusion, Engagement und Zusammenarbeit in der Kommune sowie die Erkundung unterschiedlicher Perspektiven in Museen. Die Empfehlungen wurden in der Reihenfolge ihrer Zustimmung durch den Bürgerrat eingestuft.
Die Empfehlung mit der höchsten Zustimmungsrate forderte eine bessere Bewerbung der städtischen Museen und ihrer Aktivitäten. Es wurde vorgeschlagen, dass die Stiftung die Planungsvorschriften des Stadtrats in Frage stellt, die das Birmingham Museum and Art Gallery (BMAG) daran hindern, an den Eingängen für sich zu werben. Außerdem wird empfohlen, dass die Museumsstiftung ihre Social-Media-Strategie durch die Zusammenarbeit mit Influencern und einer Präsenz auf der Plattform TikTok erweitert und eine private Veranstaltung für Influencer ausrichtet.
Ansprüche an Ausstellungen
Die Empfehlung mit der zweithöchsten Zustimmungsrate fordert, dass die Ausstellungen allen Bürgern von Birmingham zugänglich gemacht werden. Diese sollen „ästhetisch ansprechend“ sein, Neurodiversität berücksichtigen und Informationen in mehreren Sprachen, einschließlich der britischen Gebärdensprache, anbieten.
.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bürgerrates schlagen der Museumsstiftung außerdem vor, seine Öffnungszeiten zu ändern. Sie weisen darauf hin, dass das Sammlungszentrum des Museums nur während der Freitagsgebete geöffnet und die Birmingham Museum and Art Gallery nur während der Werktagsarbeitszeiten zugänglich ist.
Unternehmen als Unterstützer gewinnen
Eine weitere Empfehlung mit breiter Zustimmung lautet, dass die Stiftung Unternehmen als finanzielle Unterstützer gewinnen soll. Zu den Vorschlägen gehörten eine von Netflix gesponserte Peaky Blinders-Ausstellung und die Zusammenarbeit mit lokalen Technologie-, Kreativ- und Produktionsunternehmen.
Das Museum soll auch das Potenzial, Ausstellungsflächen für Firmenveranstaltungen und Unterhaltung anzubieten „voll ausschöpfen“ und den Markt für kirchliche Veranstaltungen und asiatische Hochzeiten erkunden, so der Bürgerrat.
"Wir sind stolzer auf unsere Museen"
In einer gemeinsamen Erklärung des Bürgerrates heißt es: „Zu Beginn dieses Verfahrens wussten wir nicht, was uns erwarten würde. Viele von uns waren schon lange nicht mehr in einem Museum, wir wussten nicht, worum es beim Birmingham Museums Trust geht und was er für uns bedeuten könnte. Wir waren nicht engagiert und fühlten uns unseren Museen nicht verbunden. Als Ergebnis des Verfahrens sind wir nun stolzer auf unsere Museen und die Stadt.
Unsere Museen müssen ihr Image in Birmingham und auf nationaler Ebene aufpolieren. Das wiedereröffnete Birmingham Museum & Art Gallery ist viel ansprechender. Wir hoffen, dass sich dies auch an den anderen Standorten fortsetzt und dass der Trust dafür sorgt, dass die Menschen wissen, was für großartige Dinge er zu bieten hat und welchen Prozess er durchlaufen hat. Die Stimme des Museums ist gewissermaßen die Stimme der Menschen, und wir möchten, dass uns jeder schon von Weitem hört."
„Wertvolle Einblicke“
Für die Birmingham Museum Trust-Geschäftsführer Zak Mensah und Sara Wajid sind die Bürgerrat-Empfehlungen ein „Eckpfeiler“ des „Wandels“ der Stiftung. „Der Bürgerrat hat uns wertvolle Einblicke und eine klare Richtung für die Zukunft unserer Museen aufgezeigt und betont, wie wichtig es ist, Räume zu schaffen, die integrativer, zugänglicher und für die lokalen Gemeinschaften wichtiger sind und gleichzeitig das reiche und vielfältige kulturelle Erbe der Region widerspiegeln“, so Mensah und Wajid.
Sie hoffen dass der „durchdachte und gemeinschaftliche Prozess“ des Bürgerrates ein Modell dafür sein könnte, wie andere Kultureinrichtungen direkt mit ihren Kommunen zusammenarbeiten könnten.
Macht in Kulturinstitutionen neu überdenken
David Jubb, Mitbegründer von Citizens In Power, erklärte in einem Blogbeitrag, dass es bei dem Bürgerrat in Birmingham darum ging, „neu zu überdenken, wie Macht in einer Kulturinstitution funktioniert“.
„Organisationen sind voller konkurrierender interner Dynamiken. Die Mitarbeiter sind sich uneinig über Prioritäten“, schreibt Jubb. „Führungskräfte geraten in einen Konflikt zwischen Ehrgeiz und Pragmatismus. Strategische Pläne kommen zum Stillstand. In dieser Gemengelage kann es ein langwieriger Prozess sein, eine klare Vision zu erreichen“, erklärt Jubb.
Kultureinrichtungen durch Nutzer leiten lassen
„Stellen Sie sich vor, Museen, Kunstorganisationen und Theater würden ihre Gemeinschaften nicht nur befragen, sondern sich von ihnen leiten lassen. Stellen Sie sich vor, Mitarbeiterteams würden durch die moralische und demokratische Autorität eines Bürgerrates motiviert, ein Entscheidungsprozess, der interne Politik und Egos außen vor lässt. Das ist die radikale Möglichkeit beim Birmingham Museums Trust. Nicht nur, dass die Museen ihre Türen weiter öffnen, sondern dass sie zu einer Institution werden, die von den Menschen geführt wird, denen sie dienen.“
Zur Einberufung des Bürgerrates hatten 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner von Birmingham vom Birmingham Museums Trust eine Einladung zur Teilnahme erhalten. 26 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der ganzen Stadt waren in einem zweistufigen Losverfahren ausgewählt worden, um einen repräsentativen Querschnitt durch die Bevölkerung Birminghams zu schaffen. Die Bürgerrat-Mitgliedern waren zwischen 18 und 79 Jahre alt.
Vorteile eines Bürgerrates
Der Bürgerrat war in sechs Sitzungen im Oktober und November 2024 zusammengekommen, wobei Online- und persönliche Treffen kombiniert wurden. Die Losversammlung hörte zwölf Fachleute an, besuchte drei Ausstellungen und tauschte ihre eigenen Meinungen und Erfahrungen aus. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten als Aufwandsentschädigung Gutscheine im Wert von £ 360 erhalten.
Der Birmingham Museums Trust hatte sich für das Format Bürgerrat entschieden weil dessen Vorteile „sich sowohl aus ihrer zufälligen Beteiligung als auch aus ihrer Fähigkeit, gut durchdachte, fundierte Empfehlungen zu erarbeiten“ ergäben. Bürgerräte unterschieden sich von den meisten anderen Formen der öffentlichen Anhörungen, bei denen die Bürgerinnen und Bürger in der Regel aufgefordert würden, auf der Grundlage von wenigen Informationen auf vorgegebene politische Optionen zu reagieren.
Museen neu erfinden
Das Beteiligungsunternehmen Shared Future war mit der Durchführung des Verfahrens beauftragt worden und konnte dabei auf einen reichen Erfahrungsschatz in diesem Bereich zurückgreifen, ebenso wie das Aktionsinstitut DemocracyNext, das das Verfahren als Berater und kritischer Begleiter unterstützt hat. Der Bürgerrat wurde von einem Beirat unterstützt, der sichergestellt hat, dass das Verfahren den Qualitätsstandards für Bürgerräte entspricht.
Diese Initiative ist Teil der umfassenderen Wandlungsstrategie des Birmingham Museum Trust, die darauf abzielt, die Museen der Stadt als wirklich demokratische und integrative Orte für das 21. Jahrhunderts neu zu erfinden.
Vorläufer in Deutschland
Die Birmingham Museums Citizens' Jury wurde vom National Lottery Heritage Fund als Teil des Laying the Foundations Programms des Birmingham Museums Trust finanziert.
Der Museums-Bürgerrat in Birmingham hat Vorläufer in Deutschland. 2023 haben die Bundeskunsthalle in Bonn und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) geloste Gesellschafts-Foren durchgeführt. Ihr Ziel war es, die Bedeutung von Kultureinrichtungen im Hinblick auf ihre Rolle in der Gesellschaft neu zu bewerten.
Kultur-Bürgerräte in Coventry und Nottingham
Im englischen Coventry hatten im Oktober und November 2021 zufällig geloste Einwohner in einem Bürgerrat darüber diskutiert, wie Kunst, Kultur und Kreativität zu einer besseren Zukunft für die britische Kulturhauptstadt 2021 beitragen können. Im englischen Nottingham soll der weltweit erste ständige Bürgerrat zu Kunst und Kultur diese zur Sache aller Einwohner machen.