Beteiligung stärkt Vertrauen in Regierungen
Je besser die Bürgerbeteiligung, desto höher das Vertrauen in die Regierung. Das ist eines der Ergebnisse einer im Dezember 2024 veröffentlichten Umfrage der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
„Demokratisch gewählte Regierungen stehen heute an einem kritischen Scheideweg: Sie müssen den ökologischen und digitalen Wandel steuern und sich gleichzeitig mit einer zunehmenden Polarisierung innerhalb ihrer Länder, verschärften weltpolitischen Spannungen sowie den sozialen Folgen wirtschaftlicher Entwicklungen auseinandersetzen. In diesem Umfeld ist der Aufbau und die Aufrechterhaltung von Vertrauen in öffentliche Institutionen für viele Regierungen auf der ganzen Welt eine wichtige Aufgabe“, erklärt die OECD zu ihrer Studie.
Gefühl der Selbstwirksamkeit erhöht Vertrauen
Die zweite OECD-Umfrage zu den Treibern des Vertrauens in politische Institutionen zeigt das Niveau und die Treiber des Vertrauens in öffentliche Institutionen in 30 OECD-Ländern im Jahr 2023 und ihre Entwicklung seit 2021.
Danach vertrauen 69 Prozent derjenigen, die das Gefühl haben, bei Regierungsmaßnahmen ein Mitspracherecht zu haben, der nationalen Regierung, während dies nur 22 Prozent derjenigen tun, die das Gefühl haben, kein Mitspracherecht zu haben.
Zweifel an Politikern und Verwaltungen
Viele Menschen haben Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit von Verwaltungsmitarbeitern und gewählten Politikern. Nur 30 Prozent vertrauen darauf, dass die Regierung der Einflussnahme eines Unternehmens für eine Politik standhalten kann, die zwar der Branche des Unternehmens zugutekommen, aber der Gesellschaft insgesamt schaden könnte.
In Deutschland glauben 29 Prozent der Umfrageteilnehmer, dass das politische System es Menschen wie ihnen ermöglicht, die Handlungen der Regierung mitzubestimmen. Deutsche, die das Gefühl haben, dass das derzeitige politische System Menschen wie ihnen keine Mitsprache gewährt, vertrauen der Bundesregierung 54 Prozentpunkte weniger als diejenigen, die das Gefühl haben, gehört zu werden. Diese Vertrauenslücke ist größer als die durchschnittliche Lücke von 47 Prozentpunkten in den OECD-Ländern.
Parteien in der Vertrauenskrise
Am wenigsten vertrauen die Deutschen mit 26 Prozent den politische Parteien, gefolgt von Nachrichtenmedien mit 34 Prozent und dem Bundestag mit 35 Prozent.
Die OECD rät deshalb dazu, Bürgerbeteiligung durch Richtlinien und Verfahren zur Förderung der Wirksamkeit und Einbeziehung aller Menschen zu stärken. „Regierungen müssen Räume und Kapazitäten für bürgerschaftliches und politisches Engagement unterstützen und gleichzeitig klare Erwartungen an die Rolle der deliberativen und direkten Demokratie formulieren“, lautet eine Empfehlung.
Bürgerräte können dabei die Akzeptanz politischer Entscheidungen unterstützen, hatte die OECD in einem bereits 2020 veröffentlichten Bericht erklärt. „Die Fülle der Belege, die Expertinnen und Experten in dem Bericht gesammelt haben, zeigen, dass die mehrtägige Einberufung eines Abbildes der Gesellschaft mit dem Zweck des Lernens, Beratens und Entwickelns gemeinsamer fundierter Empfehlungen ein wirksames Mittel zur Überwindung von Polarisierung und zur Konsensfindung bei den heikelsten politischen Problemen ist“ hatten Claudia Chwalisz und Ieva Cesnulaityte als Autorinnen des Berichts erläutert. Dies gelte insbesondere für Fragen, bei denen es um Werte gehe, die Kompromisse erforderten und langfristige Anliegen beinhalteten, die über kurzfristiges Denken in Wahlperioden hinausgingen.
Aufsuchendes Losverfahren wirksam
Ähnliche Ergebnisse wie die Umfrage der OECD zeigt die Auswertung des vom Verein „Es geht LOS“ durchgeführten Projektes „Hallo Bundestag“. In sechs Bundestagswahlkreisen hatten hierbei jeweils etwa 25 zufällig geloste Menschen ab 12 Jahren aus den Wahlkreisen in sog. Wahlkreistagen untereinander und mit lokalen Bundestagsabgeordneten über aktuelle bundespolitische Themen diskutiert.
Bei „Hallo Bundestag“ wurde das sog. „aufsuchende Losverfahren“ angewandt. Hierbei werden Menschen, die auf die schriftliche Einladung zu einer Losversammlung nicht antworten, noch einmal durch Haustürbesuche zur Teilnahme motiviert. Durch dieses Verfahren werden nachweislich auch Menschen erreicht, die sonst nicht an politischen Veranstaltungen teilnehmen, nicht wählen gehen, sich machtlos fühlen, oder aus anderen Gründen zu den „stillen Gruppen“ zählen.
Vertrauen in Politiker gestärkt
Eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation belegt, dass das Vertrauen in politische Institutionen nach der Teilnahme an dem Projekt höher ist als zuvor. Insbesondere wurde das Vertrauen in Politikerinnen und Politiker gestärkt.
„38 Prozent der Aussagen bezeugen positive Veränderungen im politischen Verständnis und Optimismus. Sie fühlen sich hoffnungsvoller und zuversichtlicher sowohl im Hinblick auf ihre Mitmenschen als auch in Bezug auf ihre Abgeordneten. Ebenso zeigt sich ein verbessertes und ausgewogeneres Politikverständnis“, heißt es im Evaluationsbericht. Ein Viertel der Befragten bekunden ein erhöhtes politisches Interesse und Engagement.
„Hallo Bundestag“ sei „sehr gut geeignet, um Menschen mehr für Politik zu interessieren, vor allem aber auch, weil Politiker da waren“, erklärte einer der befragten Teilnehmer.
Wie sieht die ideale Demokratie aus?
Wie soll also das ideale demokratische System aussehen? Sollen Bürgerinnen und Bürger ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen? Sollen sie bindende Entscheidungen treffen dürfen oder sogar nicht funktionierende Parlamente vollständig ersetzen? Oder ist es nicht legitim, dass eine Handvoll ausgewählter Bürgerinnen und Bürger für andere ohne direkte Verantwortung und wirkungsvolle Vertretungsmöglichkeiten mitbestimmt?
Der Politikwissenschaftler Prof. André Bächtiger und die Politologinnen Dr. Saskia Goldberg und Marina Lindell haben das Konzept der „Lottokratie“ und dessen Umsetzungschancen untersucht. Bächtiger, Goldberg und Lindell wollten wissen was die Bürgerininnen und Bürger als Adressatinnen und Adressaten solcher Reformbestrebungen selber über zufällig geloste Bürgerräte denken.
Bürgerräte mit Entscheidungsmacht?
Sie fanden heraus, dass die Befragten eine solche Demokratieform zwar generell interessant finden, aber eher zurückhaltend sind, wenn es um die Entscheidungsmacht geht. Dieses Muster beobachteten die Wissenschaftler/innen in sehr unterschiedlichen Länderzusammenhängen - in den politisch hoch polarisierten USA, in Irland, wo die Menschen bereits viel Erfahrung mit Bürgerräten haben, und in Finnland, wo ein hohes politisches und soziales Vertrauen herrscht. Allerdings hatten nur 15 bis 25 Prozent der Befragten zuvor überhaupt von Bürgerräten gehört und nur rund vier Prozent waren daran schon einmal beteiligt.
Die Studie zeigt auch: Insbesondere Bürgerinnen und Bürger, die bereits Erfahrungen mit Losverfahren haben, sind einerseits offener für Bürgerräte mit Entscheidungsmacht. Andererseits bleiben auch sie bei der Frage „Entscheidungsmacht oder nur Beratung“ unsicher.
Ansätze in Ostbelgien und Paris
Ansätze, entscheidungsbefugte Bürgerräte und bestehende demokratische Institutionen zu kombinieren, gibt es bereits auf kommunaler Ebene, zum Beispiel in Ostbelgien oder in Paris. Dort werden geloste Gremien mit dem repräsentativen System verknüpft.
„Die Zukunft der Demokratie besteht also nicht darin, bestehende repräsentative Systeme zu ersetzen, sondern darin, repräsentative und lottokratische Institutionen intelligent miteinander zu kombinieren“, schlussfolgert Bächtiger. „Und dies könnte nicht nur intelligentere Entscheidungen hervorbringen, sondern auch die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Demokratie signifikant erhöhen.“